Diskussion mit Lia Tarachansky

Auszüge aus der Diskussion mit Lia Tarachansky mit dem Publikum im Anschluss an die Vorführung ihres Film „On the Side oft he Road“ am 23. Feb. 2015 im Festsaal der Heilandskirche Graz

(Zusammengefasst von Sarah Woywod, die auch die Deutsch-Englisch-

Übersetzung der Diskussion besorgte)

Was kann man in Europa tun, um den Konflikt in Israel/Palästina zu lösen?

Lia: Ich habe leider keinen 5-Punkte-Plan, den man anwenden kann. Ich kann nur sagen, dass wir in Israel/Palästina unter dem Trauma und der kollektiven Verdrängung leiden. Zur Konfliktlösung müssen die Menschen in Europa die richtige Balance finden zwischen Ausüben von Druck, Verhandlungen und begleitender Mediation. Aber eine Lösung kann ich nicht anbieten. Ihr seid ja auch nur normale Leute, ohne Millionen von Euros auf dem Konto.

Wie ist die Stimmung in Israel? Gibt es nennenswert friedensrelevante Gegenströmungen zur zionistisch dominierten Politik?

Lia: Grundsätzlich herrschen in Israel ganz kontroverse Meinungen. Die meisten Israelis sind aber eher zynisch gestimmt und haben kein Vertrauen in die Zionisten mehr. Es gibt aber auch eine rechts-konservative Minderheit, die sehr besorgt um die Zukunft Israels ist, zum Beispiel die Geburtenquoten zählt und auch großen Einfluss auf die Medien hat. Im Sommer 2011 und 2012 gab es die größten Demonstrationen, die Israel je gesehen hat. Im Zentrum stand aber nicht die Friedensfrage sondern die sehr hohen Lebenshaltungskosten, besonders das kaum mehr leistbare Wohnen. Die Leute haben genug von der Zentralisierungspolitik. Die Leute haben genug von den Kriegen, den Kämpfen, sie sehen keinen Sinn dahinter, während sie sehen, dass die Menschen in den USA und im Europa viel ruhiger und bequemer leben. Gleichzeitig sind wir aber auch der Hoffnung, dass alles besser wird.

Wie waren die Reaktionen in Israel bezüglich des Films?

Lia: On the side of the road ist ja mein erster Film. Zuvor habe ich als Journalistin gearbeitet. Es erscheint wie ein Wunder, dass mein Film zur Premiere bei einem Filmfestival in Tel Aviv gezeigt wurde. Zuvor hatten wir Kopien an Journalisten geschickt, in der Hoffnung, dass sich jemand dafür interessieren würde. Dann rief mich ein Journalist an und ich durfte ein Interview in einer Morgenshow geben. Der Journalist warnte mich, dass mein Film eventuell für anti-semitische Propaganda missbraucht werden könnte, aber als er dann erfuhr, dass ich selber in einer Siedlung aufgewachsen bin, änderte er schlagartig seine Meinung und wir diskutierten 40 Minuten über die Situation der Flüchtlinge. Generell erlebte ich Neugierde und Interesse auf meinen Film, die meisten waren aber der Meinung: Das ist ein schöner Film, aber du liegst falsch. Warum?, fragte ich, aber sie konnten es mir nicht sagen. Die Leute sind von sich selbst der Meinung: „Ich bin ein guter Mensch, ich kann nur recht haben“. Aber ich habe diese Erfahrung des Nicht-Recht-Habens selber gemacht. Anfangs dachte ich auch, dass ich recht habe, habe an das zionistische Narrativ geglaubt, und hab mir gedacht: Ich werde es schon beweisen, aber am Ende habe ich realisiert, dass ich sehr ignorant war und die historischen Fakten ganz andere waren.

Dieser Film wurde nicht für Palästinenser gemacht. Ihr müsst euch das so vorstellen, als müsste sich ein Vergewaltigungsopfer anhören, wie schwierig es für den Vergewaltiger ist über die Vergewaltigung zu sprechen. Israelis haben Schwierigkeiten über die Verdrängung ihrer Verbrechen im Zusammenhang der Palästinensischen Katastrophe („Naqba“) von 1948/49 zu sprechen, umso schwieriger ist dieser Film für Palästinenser.

Schlussworte von Franz Sölkner: Wir alle sollten über die Dinge sprechen, die verdrängt werden. Wir in Österreich haben lange nicht über die Zeit des Nationalsozialismus gesprochen, aber mittlerweile haben wir das gelernt, genau wie Holland über seine Untaten in ihrer ehemaligen Kolonie in Indonesien oder wie es in Großbritannien eine kritische Diskussion gibt über die Bombardierung von Dresden. Es geht darum lebensfeindliche und friedenshemmende Mythen zu zerstören. Geschichte ist immer ambivalent. Es ist notwendig nicht nur über das Erhebende der eigenen Geschichte, über Mozart, die Wiener Ringstraßenbauten und die Lippizaner zu reden, sondern auch über die Schattenseiten der Nationalgeschichten.

Etwa auch im Sinne des Zitats von Christa Wolf aus Kassandra: „Wann Krieg beginnt, das kann man wissen. Aber wann beginnt der Vorkrieg? Falls es da Regeln gäbe, müsste man sie in Ton ritzen, in Stein meiseln. Weitersagen, aufbewahren für alle Zeit. Was stünde da? Da stünde, unter anderen: Lasst euch nicht täuschen von den Eignen.”

Ich danke dir für Dein Kommen, Lia, und für Deinen Mut gegen den Strich zu denken.

 

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Nach Graz zeigte Lia Tarachansky ihren Film in Wien. Auch dieser Abend war mit 80 Personen gut besucht.
Die einleitenden Worte von Lia und Ihre lebhaften Ausführungen in der anschließenden Diskussion (beides in englischer Sprache) könnt Ihr unter folgendem link nachhören.
https://www.youtube.com/watch?v=Teld8M0MEug&feature=youtu.be
Hinsichtlich einer Kopie des Films hat Lia gesagt, dass er von der Produktionsfirma erst mit Anfang April zum Erwerb auf einer DVD freigegeben werde. Dann wird man ihn über die Website naretivproductions.com/ bestellen können (Wichtig: Die Version mit den deutschen Untertiteln bestellen)

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