Der Weg in den Krieg

Vor 50 Jahren endete die dritte bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn mit einem überwältigenden Sieg des ­zionistischen Staates

Von Knut Mellenthin
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Der Streit um Ostjerusalem, das die Palästinenser als künftige Hauptstadt eines eigenen Staates beanspruchen, hält bis heute an – Der israelische Verteidigungsminister Moshe Dayan (Mitte, mit Augenbinde), Generalstabschef Jitzchak Rabin (rechts davon) und weitere Generäle am 7. Juni 1967 in der eroberten Altstadt Jerusalems

Knut Mellenthin schrieb an dieser Stelle zuletzt am 3.5.2017 über die Außenpolitik Donald Trumps nach den ersten hundert Tagen im Amt als US-Präsident

Am Vormittag des 5. Juni 1967 erfuhr die Welt aus Israel:

»Seit dem heutigen frühen Morgen finden an der Südfront heftige Kämpfe zwischen ägyptischen Panzer- und Luftstreitkräften, die sich gegen Israel in Bewegung gesetzt haben, und unseren Streitkräften statt, die Maßnahmen zur Abwehr ergriffen.«Die meisten westlichen Medien reagierten mit Erschütterung und riefen ihre Regierungen zu tatkräftiger Hilfe auf, um den bedrängten jüdischen Staat vor der Vernichtung durch die arabische Übermacht zu bewahren. Aber die Meldung aus Jerusalem war eine Propagandalüge: Israel hatte um 7.45 Uhr (Ortszeit) den Krieg mit verheerenden Luftangriffen gegen Ägyptens Militär- und Zivilflughäfen eröffnet, ohne dass ägyptische Militäraktionen vorausgegangen waren. Von den 245 Kampfflugzeugen, die Ägypten während des sechstägigen Krieges verlor, wurden 240 gleich am ersten Tag zerstört, die meisten noch am Boden. Die ägyptische Luftwaffe, die stärkste in der gesamten arabischen Welt, wurde in den ersten neun Stunden des israelischen Angriffs praktisch vollständig ausgeschaltet. Die so gewonnene Luftüberlegenheit war eine wesentliche Voraussetzung für das rasche Vorrücken der israelischen Panzertruppen auf der Sinaihalbinsel, deren Landschaft kaum natürliche Deckung bot.

Am Mittag desselben Tages griffen israelische Kampfflugzeuge die Luftwaffenstützpunkte in den mit Ägypten verbündeten Staaten Syrien und Jordanien an. Auch dort schienen sie auf einen überraschten, unvorbereiteten Gegner zu treffen: Syrien verlor am 5. Juni 45 seiner 142 besten Kampfflugzeuge am Boden, Jordanien 18 von 22.

Große Geländegewinne

Der Krieg Israels gegen Ägypten endete am 9. Juni. Schon einen Tag zuvor hatte die ägyptische Regierung, deren Streitkräfte schwer angeschlagen und desorganisiert waren, einen von der UNO vorgeschlagenen Waffenstillstand akzeptiert. Aber die israelische Militärführung ließ den Vormarsch fortsetzen, um ihre Positionen zu verbessern. Bei Kriegsende stand die Armee in ganzer Breite am Suezkanal. Einem Teil der ägyptischen Truppen auf der Sinaihalbinsel war durch die raschen israelischen Panzervorstöße der Rückweg abgeschnitten worden. Während des Junikrieges wurden etwa 10.000 ägyptische Soldaten getötet und 20.000 verletzt. Israels Verluste an dieser Front waren sehr viel geringer: 275 Tote, 800 Verletzte.

Israels Feldzug gegen Jordanien endete am Abend des 7. Juni. Das ganze Gebiet westlich des Jordans einschließlich Ostjerusalems mit der Altstadt war nun unter israelischer Kontrolle. Jordanien verlor nach eigenen Angaben rund 6.000 Mann. Israels Verluste: 550 Tote, 2.500 Verletzte. Die zahlenmäßig nicht sehr große, von britischen Kolonialoffizieren aufgebaute jordanische Armee galt damals als bestgerüstete und bestausgebildete aller arabischen Staaten. Sie verfügte im Gegensatz zu Ägypten und Syrien über moderne westliche Waffen, wie auch Israel sie hatte.

Israel hatte zwar schon am ersten Kriegstag der syrischen Luftwaffe schwere Verluste zugefügt, danach aber an der Nordfront zunächst Ruhe gehalten. Das Land hatte nicht genug Soldaten, um gleichzeitig an drei Fronten einen offensiven Bewegungskrieg zu führen. Die syrischen Streitkräfte ihrerseits unternahmen, abgesehen vom Beschuss grenznaher israelischer Dörfer, nichts, um Ägypten und Jordanien militärisch zu entlasten. Erst am Morgen des 9. Juni, also des fünften Kriegstages, griff Israel an der von den Syrern stark befestigten Golan-Front an, nachdem die Ägypter praktisch aus dem Krieg ausgeschieden waren. Am Abend des 10. Juni wurde ein Waffenstillstand geschlossen, der die israelischen Truppen allerdings nicht daran hinderte, an den folgenden zwei Tagen ihre Positionen noch etwas zu verbessern. Insgesamt war ihr Geländegewinn an dieser Front mit 1.200 Quadratkilometern gering – kaum mehr als ein Fünftel des in diesem Krieg eroberten Westjordanlandes. Ein bedeutender Vorteil für Israel war aber, dass es durch die Besetzung der Golanhöhen und eines Teils des Hermon-Bergmassivs seine Kontrolle über die Ursprungsflüsse des Jordan verbessern konnte. Der arabisch-israelische Streit um das von dort kommende Wasser hatte in den Jahren vor 1967 eine wichtige Rolle gespielt.

Noch heute behauptet die offizielle israelische Geschichtsschreibung, der Staat Israel sei durch seine Nachbarn von Vernichtung bedroht gewesen und habe deshalb einen Krieg der Selbstverteidigung führen müssen. Der Untergang drohte dem jüdischen Staat 1967 aber ganz sicher nicht, nicht einmal eine militärische Niederlage. Kein arabischer Soldat betrat während dieses Krieges israelischen Boden. Selbst rein quantitativ betrachtet war Israel nur auf der Sinaihalbinsel unterlegen, während es an den Fronten gegen Syrien und Jordanien sogar zahlenmäßig überlegen war. Dazu trug bei, dass Israel nicht gezwungen war, gleichzeitig an allen drei Fronten Krieg zu führen, und dass es die Fähigkeit hatte, seine Truppen sehr schnell zu verlegen.

Vier arabische Staaten mit einer Bevölkerung von insgesamt 41,7 Millionen Menschen – Ägypten, Syrien, Jordanien und Irak – hatten zusammen nicht einmal doppelt so viele Soldaten zur Verfügung wie Israel mit seinen damals etwa 2,5 Millionen Menschen: 395.000 Mann die einen, 275.000 die anderen. Für Länder, deren Politiker ständig damit prahlten, Israel »verschlingen« und »auslöschen« zu wollen, war der tatsächliche arabische Militarisierungs- und Mobilisierungszustand erstaunlich niedrig. Außerdem hatte Ägypten einen beträchtlichen Teil seiner Streitkräfte, zeitweise bis zu 70.000 Mann, im Jemen stationiert. Sie kämpften dort seit 1962 an der Seite der Republikaner gegen die von Saudi-Arabien bewaffneten und finanzierten Anhänger des gestürzten Königs. Ägypten beendete seine Intervention erst aufgrund des Junikrieges 1967.

Vorprogrammierter Konflikt

Dem israelischen Überfall am 5. Juni war eine dreiwöchige Krise vorausgegangen, die vordergründig betrachtet vor allem durch mehrere Schritte des ägyptischen Staatschefs Gamal Abdel Nasser ausgelöst und verschärft worden war. Zum besseren Verständnis ein kurzer Rückblick auf die vorangegangene Entwicklung des israelisch-arabischen Konflikts.

Am 29. November 1947 stimmte die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit 33 gegen 13 Stimmen bei zehn Enthaltungen dem Vorschlag einer Kommission zu, das britische Mandatsgebiet Palästina in einen Staat für Araber und einen Staat für Juden aufzuteilen. Die Resolution enthielt eine genaue Beschreibung der Grenzen zwischen beiden Territorien. Daraus ergab sich, dass der jüdische Staat rund 54 Prozent des Gebiets einnehmen sollte, obwohl zu diesem Zeitpunkt nur etwa ein Drittel der Einwohner Juden waren. Diese offensichtlich ungerechte Aufteilung wurde damit begründet, dass der jüdische Staat eine »Reserve« brauche, um mehr Überlebende des Holocaust aus Osteuropa aufnehmen zu können.

Dem Teilungsvorschlag zufolge sollten beide Staaten jeweils aus drei separaten Gebieten bestehen, die so ineinander verkeilt waren, dass die Verbindungswege immer nur über das Gebiet des anderen Staates führten. Das hätte ein Maximum an gutem Willen auf beiden Seiten vorausgesetzt, um zu funktionieren. In der sehr angespannten realen Situation stellte dieser Plan praktisch eine Aufforderung zur schnellen Klärung der Verhältnisse durch Krieg dar.

Der zionistischen Lesart zufolge wurde der erste arabisch-israelische Krieg durch den Angriff der Streitkräfte mehrerer arabischer Staaten am 15. Mai 1948 ausgelöst. In Wirklichkeit begann er aber unmittelbar nach der Verabschiedung der UN-Resolution im November 1947. Anfang April 1948 hatten die Zionisten so weit die Oberhand gewonnen, dass sie zur Offensive übergehen konnten und bis zur Unabhängigkeitserklärung am 14. Mai weitgehend die im Teilungsplan vorgesehenen Linien erreichten. Zum Zeitpunkt des ersten Waffenstillstands am 7. Juni 1948 konnten die israelischen Streitkräfte melden, dass mit Ausnahme der Negevwüste das gesamte Gebiet, das die UNO für den jüdischen Staat vorgeschlagen hatte, fest unter Kontrolle war. Die Fortführung des Krieges bis in den März 1949 hinein diente nur noch der Erweiterung des Territoriums.

Israel dehnte sich nunmehr weit über die im UN-Teilungsbeschluss vorgesehenen Linien hinaus aus, so dass es 78 Prozent des früheren Mandatsgebiets einnahm. Von 1,2 Millionen Arabern, die vor dem Krieg in Palästina gelebt hatten, waren ungefähr 700.000 geflüchtet oder vertrieben worden. Im vergrößerten Gebiet Israels waren nur noch etwa 100.000 Araber zurückgeblieben, die auf absehbare Zeit keine »demographische Gefahr« darstellten. Israel weigerte sich trotz mehrerer UN-Resolutionen, auf die Linien des UN-Teilungsvorschlags zurückzugehen und die Rückkehr der Flüchtlinge zu erlauben.

Nicht zustande kam auch der von der UNO vorgeschlagene palästinensische Staat. Das jordanische Regime annektierte das Land westlich des Jordans, soweit es nicht von Israel erobert worden war. Nur zu diesem Zweck hatte sich das eng mit Großbritannien verbundene Königreich überhaupt an dem Krieg beteiligt. Ägypten unterstellte den Gazastreifen seiner Verwaltung, betrachtete ihn aber offiziell nicht als Teil seines Territoriums. In den folgenden Jahren verfestigten sich die Waffenstillstandslinien von 1949. Spätestens seit dem Junikrieg halten die meisten Staaten der Welt diese Linien für Israels legitime Grenzen, im Gegensatz zu den 1967 besetzten Gebieten.

Suezkrise

Am 26. Juli 1956 gab Nasser die Nationalisierung des Suezkanals bekannt, der bis dahin der Kontrolle durch eine britisch geführte Gesellschaft unterstanden hatte. Das brachte Ägypten in einen schweren Konflikt mit Großbritannien und Frankreich. Israel nutzte die Gunst der Stunde und verabredete mit den beiden Regierungen einen gemeinsamen Angriff, der am 29. Oktober 1956 begann. Das Kriegsziel bestand darin, das nationalistische Idol Nasser zu stürzen oder sein Ansehen im eigenen Land und in der arabischen Welt zumindest schwer zu beschädigen. Der israelischen Führung ging es außerdem darum, ihre Zusammenarbeit mit den beiden westlichen Großmächten auf militärischem Gebiet, einschließlich der Entwicklung eigener Atomwaffen, zu festigen. Nebenbei hoffte Israel, den Gazastreifen zu annektieren, der Ausgangspunkt palästinensischer Überfälle war.

Am 6. November 1956 wurden alle Kämpfe eingestellt, nachdem Ägypten einem Waffenstillstand mit Israel zugestimmt hatte. Die schnelle Beendigung des Krieges war darauf zurückzuführen, dass sich nicht nur die Sowjetunion, sondern auch die USA massiv gegen den Angriff aussprachen. Die israelischen Streitkräfte, die bis zum Suezkanal vorgedrungen waren, mussten alle eroberten Gebiete räumen.

Die Lage blieb auch in den folgenden Jahren instabil. Die palästinensischen Kommandoaktionen gegen Israel gingen weiter. Aber während in den 1950er Jahren vor allem Ägypten der Ausgangspunkt solcher Überfälle gewesen war, verschob sich in den 1960er Jahren der Schwerpunkt nach Syrien und Jordanien. Nachdem die Arabische Liga im Januar 1964 die Gründung der Palestine Liberation Organization (Palästinensische Befreiungsorganisation, PLO) veranlasst hatte, steigerte sich ab 1965 die Zahl der Aktionen und das Ausmaß der israelischen Reaktionen. Zwei Zwischenfälle spielten im Vorfeld des Junikrieges eine besondere Rolle.

Der erste: In der Nacht des 11. Novembers 1966 wurden drei israelische Soldaten getötet, als ihr Fahrzeug nahe der jordanischen Grenze auf eine Mine auffuhr. Israel konzentrierte daraufhin rund 4.000 Soldaten, von denen die meisten als Flankenschutz und Reserve dienten, während 600 Mann am 13. November mit elf Panzern nach Jordanien eindrangen und dort das Dorf Samu vollständig zerstörten. Das Ziel der »Strafexpedition« war willkürlich gewählt. Es war nicht einmal sicher, ob die Gruppe, die die Minen verlegt hatte, überhaupt aus Jordanien gekommen war.

Der zweite: An der syrisch-israelischen Grenze waren nach dem Waffenstillstand 1949 drei entmilitarisierte Zonen errichtet worden. Die israelischen Streitkräfte führten dort regelmäßig »Landarbeiten« mit gepanzerten Traktoren durch, die syrisches Gewehrfeuer auf sich zogen, und antworteten dann mit »Vergeltungsaktionen«. Bei einem solchen Vorfall warf die israelische Luftwaffe am 7. April 1967 mehrere schwere Bomben auf syrische Militärstellungen ab und zerstörte außerdem ein Dorf. Es kam zu einem Luftkampf zwischen syrischen MiG-21 und israelischen »Mirage III«, bei dem die Israelis ohne eigene Verluste sechs syrische Maschinen abschossen.

Die rund drei Wochen andauernde Krise, die schließlich zum Junikrieg führte, begann am 13. Mai 1967 mit einer sowjetischen Warnung an die Ägypter. Ihr Inhalt: Israel konzentriere an seiner Nordgrenze ein Dutzend Brigaden, zusammen 30.000 bis 40.000 Mann, für eine ungewöhnlich große Operation gegen Syrien. Tatsächliche oder angenommene Kenntnis über einen solchen Vorgang konnte die sowjetische Regierung nur durch Aufklärer in Israel erhalten haben. Dabei kann die Möglichkeit einer bewussten Täuschung durch israelische Stellen mit dem Ziel, Nasser zu Reaktionen zu provozieren, nicht ausgeschlossen werden.

Ägyptens Reaktion

Nach den grenzüberschreitenden Aktionen der Israelis am 13. November 1966 und am 7. April 1967 hielt der ägyptische Staatschef die Mitteilung aus Moskau zumindest für plausibel. Diese Einschätzung wurde zudem durch kriegerische Äußerungen und Signale aus Jerusalem unterstützt. Ein Pakt zwischen Kairo und Damaskus, der am 4. November 1966 geschlossen worden war, verpflichtete Ägypten im Fall eines israelischen Angriffs auf Syrien zum militärischen Beistand. Außerdem war Nasser, der ständig andere arabische Politiker als Feiglinge verhöhnte, ein Gefangener seiner eigenen Rhetorik. Die Maßnahmen, die er aufgrund der sowjetischen Warnung veranlasste, dienten aus seiner Sicht vermutlich dazu, an Israels Südgrenze ein Drohpotential aufzubauen, um die israelischen Streitkräfte mit dem Risiko eines Zweifrontenkrieges zu konfrontieren und sie von einem Angriff auf Syrien abzuhalten.

Am 14. Mai gab Nasser die Entsendung schwerbewaffneter ägyptischer Verbände auf die Sinaihalbinsel bekannt. Das Gebiet galt aufgrund der Vereinbarungen nach dem Krieg von 1956 als entmilitarisiert. Der ägyptische Staatschef hatte allerdings im Februar 1960 in einer ähnlichen Situation schon einmal Truppen mit rund 500 Panzern in den Norden der Halbinsel geschickt. Damals mit dem Erfolg, dass sich die Situation an der israelisch-syrischen Grenze entspannte.

Am 16. Mai ließ Nasser den Kommandeur der United Nations Emergency Force (UNEF) auffordern, seine Truppen »zu ihrer eigenen Sicherheit« unverzüglich abzuziehen. Die UNEF, deren Personalstärke zwischen 3.400 und 6.000 Mann schwankte, war nach dem Krieg von 1956 in der Nähe der Grenze zu Israel, aber ausschließlich auf ägyptischem Boden, stationiert worden. Die israelische Regierung hatte es abgelehnt, UN-Truppen auf ihrem Territorium zuzulassen. Der Abzug begann am 19. Mai, war aber so langwierig, dass sich bei Kriegsbeginn immer noch Blauhelm-Soldaten im Grenzgebiet befanden und in israelische Gefangenschaft gerieten.

Am 22. Mai gab Nasser seine schwerwiegendste Entscheidung bekannt: Vom folgenden Tag an werde die Seestraße von Tiran für die gesamte israelische Schiffahrt, aber auch für Frachter anderer Staaten mit »strategischem Material« gesperrt. Auf diesem Weg erreichten ungefähr 15 Prozent der gesamten israelischen Einfuhr und 90 Prozent seiner Ölimporte den Hafen Eilat. Die juristische Lage war widersprüchlich: Zwar ist die gesamte Meerenge von Tiran eindeutig ägyptisches Territorium. Nach internationalem Recht ist Ägypten aber verpflichtet, in Friedenszeiten die Schiffahrt anderer Staaten zuzulassen. Nasser berief sich deshalb darauf, dass sein Land sich, da 1949 nur ein Waffenstillstand vereinbart worden war, mit Israel immer noch im Krieg befinde.

Praktisch gab es indessen gar keine Behinderung der Schiffahrt. Auch Nassers Behauptung, seine Marine habe die Seestraße vermint, war nur ein Bluff. Das war wahrscheinlich durch Satellitenaufnahmen bekannt. Es spielte aber vor dem Hintergrund seiner aggressiven Rhetorik in der internationalen Wahrnehmung keine Rolle.

US-Unterstützung

Am 23. Mai beschloss das israelische Kabinett, den Befehl zum Krieg zu geben, falls Nasser die Blockadedrohung nicht bis zum 25. Mai zurückziehen würde. Israels Regierungen hatten in den vorangegangenen Jahren bei vielen Gelegenheiten öffentlich erklärt, dass sie die Schließung der Straße von Tiran als »Casus belli« betrachten und entsprechend reagieren würden. Von der US-Administration hatte Israel nach dem Krieg von 1956 die Zusicherung erhalten, dass Washington im Fall einer Schließung des Seewegs nach Eilat das israelische »Recht zur Selbstverteidigung« anerkennen und politisch unterstützen würde.

Am 25. Mai traf Israels Außenminister Abba Eban zu einem zweitägigen Besuch in den USA ein, um sich mit Präsident Lyndon B. Johnson und führenden Mitgliedern von dessen Regierung zu beraten. Eban hatte den Auftrag, eine materielle Hilfszusage der USA, insbesondere Waffenlieferungen für den geplanten Krieg, anzustreben. Zu diesem Zweck war er mit Berichten des israelischen Militärs und des Auslandsgeheimdienstes Mossad ausgestattet worden, die ein äußerst düsteres Bild der Lage zeichneten. Die CIA, die von Johnson mit einer Überprüfung dieser Dokumente beauftragt worden war, verwarf sie rundum und höhnte: »Wir glauben nicht, dass die israelische Bewertung (…) eine ernsthafte Einschätzung von der Art ist, die sie ihren eigenen obersten Vorgesetzten präsentieren würden«. Die zuständigen US-Stellen hatten, ebenso wie in Wirklichkeit ihre israelischen Kollegen, eine klare und erstaunlich genaue Prognose: Israel werde im Kriegsfall jede feindliche Koalition in sieben bis zehn Tagen kampfunfähig machen.

Eban verließ Washington am 26. Mai mit der dringenden Bitte der US-Regierung, Israel möge nichts übereilen, sondern noch zwei Wochen abwarten, um zu sehen, ob die diplomatischen Bemühungen der Amerikaner erfolgreich seien. Zugleich hatte Präsident Johnson aber zwei Kernpunkte seiner Haltung deutlich zu erkennen gegeben: Erstens, dass die Entscheidung allein bei der politischen und militärischen Führung Israels liege. Die USA würden sich darin nicht einmischen. Zweitens: Johnson war zu diesem Zeitpunkt nicht bereit, eine Luftbrücke mit neuen Waffenlieferungen zu genehmigen, um die Israel gebeten hatte.

Am 30. Mai antwortete Nasser auf eine elf Tage zurückliegende Aufforderung Johnsons zu Gesprächen und kündigte an, dass Vizepräsident Zakaria Muhieddin am 7. Juni nach Washington kommen werde. Gleichzeitig setzten beide Seiten die Kriegsvorbereitungen fort. Jordanien unterzeichnete am 30. Mai ein Beistandsabkommen mit Ägypten. Mehrere arabische Staaten, die nicht an Israel grenzten, darunter Irak, Sudan, Kuwait und Algerien, gaben eine Teilmobilisierung ihrer Streitkräfte bekannt. Einige dieser Länder verlegten kleine Truppenkontingente nach Jordanien.

In den ersten Junitagen wurde in Israel eine »Regierung der Nationalen Einheit« gebildet. Mosche Dajan, Chef des Generalstabs während des Krieges von 1956, übernahm das Verteidigungsministerium, das bis dahin von Premierminister Levi Eschkol geleitet worden war. Auch Menachem Begin, Chef des ultranationalistischen Parteienbündnisses Gahal, wurde ins Kabinett aufgenommen. Die Entscheidung zum Krieg war gefallen.

Quelle: jungewelt.de vom 6.6.17

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