Besuch im ehemaligen Lager Liebenau mit Frau Mag. Possert
Im Rahmen der Friedenspolitischen Radtour besuchten wir am 2.10.2021 auch das ehemalige Lager Liebenau.
Die Erläuterungen von Frau Mag. Possert finden Sie hier:
Lager Liebenau
1942/43 ursprünglich Aussiedlerlager für Volksdeutsche, angelegt für rd. 5000 Menschen hieß „Lager V“
später Lager für Häftlinge und Zwangsarbeiter für das Puchwerk, das sie über den alten Puchsteg erreichten.
In den letzten Märztagen bis Ende April 1945, (Osterzeit + jüd.Pessachfest) sind 1000de jüdische Zwangsarbeiter von der ungar. Grenze nach dem Bau des Ostwalls durch das Burgenland + die Oststmk. zu Fuß nach Graz getrieben worden, das Lager Liebenau wurde zur Zwischenstation für die Todesmärsche. Anfang April 45 sollen sich rd. 2700 jüdische Personen im Lager aufgehalten haben.
Es gab auch französische, italienische, russische Zwangsarbeiter, vor allem an jungen polnischen Frauen wurden Zwangsabtreibungen an der Frauenklinik Graz (auch im Lager selbst) und medizinische Versuchsoperationen durchgeführt.
Die LagerbewohnerInnen waren z. Teil an Typhus erkrankt, unterernährt, geschwächt und Viele mussten auch im Freien übernachten.
- April 1945 ca. 6000 Menschen verließen Graz in Richtg. Mauthausen
am 7. April 45 wurden 1200 Jüdinnen von Graz über die Stubalpe nach Norden getrieben und es gab weitere kleinere Transporte bis zum 10.April nach Mauthausen.
An die 200 ZwangsarbeiterInnen kamen vom LL am Ostermontag 1945 in die SS Kaserne Wetzeldorf wurden dort erschossen und in Bombentrichtern verscharrt.
1947 wurden im Zuge des Liebenauer Prozess 53 Opfer im LL exhumiert, 35 von ihnen sind erschossen worden. In diesem Aufsehen erregenden Gerichtprozess sprach der Vorsitzende Sir Douglas Young öffentl. davon, dass die Zahl der Opfer weit höher sei – Zitat: „Es liegen dort noch viele unter der Erde,…“
Zeitzeugenberichte von ung. Zwangsarbeitern, die überlebt haben und in Budapest befragt worden sind, geben an, dass in ihrer Anwesenheit im LL an manchen Tagen 1-6 Menschen erschossen wurden, vor allem Schwerkranke und Kinder.
In der Nachkriegszeit verschwindet das Lager immer mehr, in den 60 ger Jahren hat die Gewerkschaft über den abgerissenen Baracken und Bunkern Schießstätten und Tennisplätze errichtet, die Tennisplätze gibt es immer noch für städtische Angestellte, es wurden Weiden über Schottergruben und Bombentrichter gepflanzt, hinzu kamen die Kasernstraßenhochhäuser und andere Wohnungen.
Unsere Gedenkinitiative gibt es seit 2012,
2011 haben wir erstmals von der 1. historischen Abhandlung zum Lieb. Prozess von Historikerin Barbara Stelzl-Marx in einer im Internet gefundenen Wissenschaftszeitung gelesen und dann mit ersten privaten Recherchen begonnen.
Obwohl mein Mann (Rainer Possert) mehr als 30 Jahre hier in Liebenau als prakt. Arzt gearbeitet hat, war das LL nie ein Thema bei den Patienten und erst, als die ersten Fakten zutage getreten sind und mein Mann ältere Patienten darauf angesprochen hat, haben sich die Leute geöffnet +begonnen, über ihre Erinnerungen zu berichten. So sind einige Zeitzeugenaussagen entstanden, z. B. wie Juden und Jüdinnen durch die Lieb. Hauptstraße getrieben wurden, von SSlern auf Pferden bewacht und mit Peitschen geschlagen wurden, wenn sie nicht mehr weiterkonnten. Es gab Anrainer, die ihnen Äpfel, Brot oder Wasser geschenkt haben, wenn sie dabei erwischt wurden, setzte es Hiebe für diese armen Menschen. Sie waren furchtbar abgemagert und konnten kaum mehr gehen, waren in Fetzen gekleidet. Ein Patient berichtete, dass er als Kind ein totes Baby beim Lagerzaun gefunden, ein anderer, dass sie als Kinder immer wieder Erdäpfel und Kürbisteile über den Zaun für die hungrigen Zwangsarbeiter geworfen haben.
2013 erste Gedenkveranstaltg am Grünanger, Referentin Prof.in Stelzl Marx . Bis heute jährliche Gednekveranst. immer Anfang, die immer sehr gut besucht worden ist und von Musikern und Schausielern mitgetragen werden.
2013 erste Luftbilder aus dem Jahr 1945 ausfindig gemacht, fotografiert von der US Navy aus ihren regelmäßigen Erkundungsflügen,
Zeitreihen vom März, April bis Mai 1945 angekauft, die den Lagerbereich mit all den Baracken, Exerzierplätzen und Luftschutzgängen, Bombentrichtern, Gruben ganz deutlich zeigen.
Das Lager erstreckte sich von der Seifenfabrik entlang der Mur bis hinunter zur Renner Hauptschule und hinüber zu den Kasernstraßen-Hochhäusern. Alle bestehenden Gebäude orientieren sich an der alten Lagerstruktur, auch das Straßennetz ist zur Gänze erhalten geblieben.
Keller Andersengasse:
Wie der Zufall so will, hat mein Mann 2014 im Haus Andersengasse 32-34, wo es ja die Räumlichkeiten des SMZ Stadtteilzentrums gibt, einen Fußbodendeckel zu einem Abgang i.d. Keller entdeckt.
Was sich da offenbart hat, war ein Nazikeller mit original Luftschutztüren und einer Waschküche, wie man sie auch in Mauthausen findet, allea fotografiert und dem Bundesdenkmal gemeldet. Unter anderem auch eine Zeichnung, die einen Mädchenkopf darstellt und die Inschrift „Paris-Seine.“ Die Fotos dazu finden Sie auf S. 19!
Die wissenschaftl Expertise zur Unterschutzstellung des Kellers ergab, dass „Paris Seine“ ein Verwaltungsbezirk in Paris bis 1968 war , der Kopf stellt die Marianne dar – Symbol für die Freiheit in der franz. Revolution mit phrygischer Kopfbedeckg.
2014 Luftbildgutachten der Fa. Cahls , 2 Jahre vom Vermessungsbüro ATP Rinner noch genauer georeferenziert. Nun konnte man ganz genau jene Verdachtssflächen ersehen, wo Bombentrichter verfüllt und eingeebnet worden sind, wo es Gruben gab, verdeckte Gänge und man ev. weitere NS- Opfer vermuten könnte. Die Ausgrabung eines Bombentrichters beim ehem. Konsum (später „Schlecker“) bewies die Genauigkeit des Luftbildgutachtens.
2015: Unser Gutachten wurde Grundlage für die Eintragung des Lagerbereichs als archäolog. Bodenfundstätte: Von nun an muss jeder Bodenfund egal ob Mauerreste, Scherben, Stacheldrahtreste, Geschirr, Fläschchen, Kleiderfetzen und vieles mehr, die bei Bauarbeiten entdeckt werden, dem Bundesdenkmalamt gemeldet und archäologisch überprüft werden.
Bau des Murkraftwerks 2017
Mit dem Beginn der Bauarbeiten zum Murkraftwerk sind im Laufe der Monate endlich alle Einzelheiten des Lagers sichtbar geworden.
Wir haben viele Tage Infozettel an Bauarbeiter verteilt, damit sie sie sich an die Gesetze der Bodenfundstätte halten….
Und an einem Freitag Vormittag, ich kann mich noch gut erinnern, hat ein Bauarbeiter beim Abtragen der Grasnarbe für einen Schotterplatz erste Fundamente einer Baracke gefunden. Somit sind die Bauarbeiten einmal stillgestanden und die Archäologen haben ihre monatelange/jahrelange Arbeit begonnen, alle Fundamente freizulegen:
Es kamen Luftschutzgänge und Bunker ans Tageslicht, Stiegen, Teile der Lagerstraße, Schächte – also die riesige Dimension des Lager Liebenau! Broshüre Fotos: S. 7, 9, vorall. 12, 37
Nov.2018 große Ausstellgseröffnung zum LL im Stadtmuseum (Nov.2018-April 2019 – eine der bestbesuchten Ausstellgen im Stadtmuseum zum damaligen Zeitpkt. überhaupt, nun konnte niemand mehr die Existenz des Lagers in Abrede stellen, wie noch ein Jahr zuvor Bgm.- Sprecher Rajakowic, der uns öffentlich in der Zeitung der Lüge und als Wichtigtuer bezichtigt hat.
Bau des Juzentrums in der Theyergasse auch 2017/18:
Dort hat man ebenfalls einen riesigen Luftschutzbunker ausgegraben und Graffiti an den Wänden gefunden: einen Nordstern- wie auf Kompass, einen Davidstern, Bombenzeichnungen, Hoheitszeichen der ukrainischn SS, eine Goebbelskarikatur als Mann in Uniform, ein jüdisches Gesicht mit Hakennase, ein Segelschiff und Inschriften. Auch dieser Bunker ist unter Denkmalschutz gestellt worden. Zuerst wurde noch versprochen, den Gang zu erhalten und zugänglich zu machen, aber alles überbaut und verschlossen und wieder hat man sämtliche Zeitzeugnisse des Lagers versteckt und unter der Erde verschwinden lassen.
Sämtliche Fundamente der Baracken, alle Bunker, Luftschutzgänge, Ein- und Ausgänge, die man ausgegraben hat, auch Teile der Lagerstraße sind wieder verschwunden, über der Lagerstraße sind Heimgärten mit Häuschen errichtet worden, über den alten Baracken-Fundamenten werden städtische Wohnungen gebaut.
Wohnen Graz unter der Leitung von Mag. Ullmann vermeidet tunlichst, Keller in den Häusern zu bauen, es werden keine Tiefgaragen errichtet, die Fundamente der Neubauten sind nur max. 60cm tief gegraben, um nicht weitere Hinterlassenschaften und womögl. Opfer zu finden.
2020 hat die Stadt Graz ENDLICH nach 9 Jahren Forderungen unsererseits diese GEDENKTAFEL errichtet. Wir wollten eigentl. einen kleinen Gedenkhain mit einem Kunstwerk oder Steinmonument, aber leider,…. Es bleibt einstweilen bei dieser Tafel.
Funde bei der Erinnerungstafel, Sept 2020
Und wie zum Hohn der Geschichte musste für diese Tafel ein Fundament bis zu gegraben werden.
In einer Tiefe von etwas mehr als 1 m fanden die Archäologen weitere Errungenschaften von ehem. LagerbewohnerInnen – in einer Schicht, die offensichtlich noch von keinen Umbauten und Grabungen seit 1945 betroffen war:
Mehr als 40 Ledersohlen von Frauen,- Männer-und Kinderschuhen, Brillengestelle, Kinderspielzeug, Kämme in verschiedenen Größen, Ketten aus bunten Glasperlen, Uhren, Zahnbürsten, außerdem Erkennungsmarken von Kriegsgefangenen, Metallschüsseln, die SS Geschirr zugeordnet werden, Häferl, Medikamentenfläschchen, Kleiderfetzen und Sauerkraut-Konservendosen – deckt sich wieder mit den einem Zeitzeugenbericht eines ungar. Zwangsarbeiters, der überlebt hat.
Wieder erlaubt Wohnen Graz nicht, noch einige Meter weiter zu graben, aus Angst, menschliche Knochen zu finden.
Knochenfunde 2021
- März 2021: Beim Abriss einer alten Grünangerhütte gleich neben dem Kindergarten in der Andersengasse hat ein Baggerfahrer mehrere menschliche Knochen ausgegraben, der zuständige Archäologe war Gott sei Dank vor Ort und hat die Knochen der Polizei übergeben und alles dem Innenministerium gemeldet.
Wenige Tage später hat man auch noch eine Schädeldecke gefunden. Diese Zufallsfunde – es handelt sich dabei nicht um ein etwaiges Massengrab – ergänzen sich mit den Erzählungen von Grünangerbewohnerinnen, die im Laufe der Jahre immer wieder bei Umbauten und Grabungen im Garten Knochenfunde gemacht haben, auch in Zeitzeugenberichten überlebender ungarischer Zwangsarbeiter wird wiederholt von Umbettungen von Toten und Gebeinen gesprochen, um Mordspuren der SS zu verschleiern.
1991 schon einmal beim Neubau des Kindergartens 2 Skelette gefunden, wir haben die Akten und Fotos auf der Gerichtsmedizin mühsam ausheben lassen. Die menschlichen Knochen wiesen Brandspuren auf und sind der Zeit um 1945 zugeordnet. Wissen nicht, wohin die Skelette verbracht wurden.
Die Knochen von 2021 sind forensisch untersucht worden, sie werden mit dem Lager assoziiert, der Schädelknochen weist ein Einschußloch auf, der Schuß kam aus nächster Nähe von einer Waffe, die SS Offiziere benutzt haben.
Es soll noch weitere Untersuchungen geben, DNA Analysen, viell. besteht sogar die Hoffnung, dass sie einem bestimmten Menschen zugeordnet werden können.
Weiterer Punkt: vor mehr als 7 Jahren sind die Melderegister aus dem Lager Liebenau im Stadtarchiv aufgetaucht, sie beinhalten Namen und Daten von Eingängen von ZwangsarbeiterInnen, wo, was sie gearbeitet haben und wann sie das Lager wieder verlassen haben.
Diese Melderegister in mehreren Schachteln harren der Aufarbeitung seitens des Ludwig Boltzmann Instituts, wir warten schon mehrerer Jahre auf diese Versprechungen.
Unsere Forderungen nach weiterer Opfersuche und wissenschaftlicher Aufklärung bleiben natürlich aufrecht.
Mag. Ursula Possert,
Gedenkinitiative Graz-Liebenau
Siehe auch:
https://www.graz.at/cms/beitrag/10355915/10551550/Lager_Liebenau_Gedenktafel_digitaler_Rundgang.html
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