Soll das Friedensprojekt Europa kriegstauglich werden?
Aufbruch Österreich
Friede Freiheit Freude
General i.R. Günther Greindl, Präsident 5.Februar 2024
Es vergeht kaum ein Tag an dem die Öffentlichkeit in den Massenmedien nicht vor
einem russischen Angriffskrieg gewarnt wird. Europa muss kriegstauglich werden
ist die Botschaft, die wir täglich hören. Das Bundesheer hat vor kurzem das
Risikobild 2024 präsentiert. Als wahrscheinlichste Bedrohung wird die hybride
Kriegführung gesehen, die größtenteils nicht militärischer Natur ist. Eine
glaubwürdige Neutralitätspolitik verringert das Risiko Ziel hybrider Angriffe zu
werden. Das neutrale Österreich kann sich im Rahmen der EU an zivilen
Schutzmaßnahmen solidarisch beteiligen. Mit seiner Neutralität kann es aber auch
als Stimme des Friedens für die europäische Sicherheit wertvolle Dienste leisten.
Je länger der Krieg in der Ukraine dauert und je gewisser es wird, dass er nicht zu
gewinnen ist, desto martialischer wird die Sprache der europäischen Politiker. Jeder
scheint die Absichten Putins genau zu kennen, obwohl keiner mit ihm redet. Sogar im
neutralen Österreich häufen sich die Schlagzeilen „Österreich muss kriegstauglich
werden“. In der kürzlich abgehaltenen Europastunde im Nationalrat forderte Reinhold
Lopatka, Spitzenkandidat der ÖVP für die EU-Wahl, die Weiterentwicklung des
„Friedensprojekt Europa“ zu einer Sicherheitsunion. Er übersieht dabei, dass die EU ihre
Sicherheit längst in die Hände der NATO gelegt hat. Die europäische Sicherheitsunion ist
die „NATO neu“, die sich in Übereinstimmung mit der amerikanischen
Sicherheitsstrategie darauf vorbereitet, weltweit auf sämtliche Bedrohungen der von ihr
erklärten „regelbasierten Weltordnung“ zu reagieren. Vom Frieden redet in Europa von
den verantwortlichen Politikern kaum jemand mehr.
Vor kurzem hat das Bundesheer das Risikobild 2024 unter dem Titel „Welt aus den
Fugen“ präsentiert. Daraus ergeben sich drei Fragen. Warum ist die Welt aus den Fugen?
Welche wahrscheinlichen Bedrohungen ergeben sich für Europa? Welche Folgerungen
können wir für unsere Neutralität ziehen?
Warum ist die Welt aus den Fugen?
Es gibt natürlich viele Ursachen warum die Welt, – gemeint ist wohl die nach dem Ende
des Kalten Krieges westlich bestimmte „regelbasierte Weltordnung“- aus den Fugen
geraten ist. Für die europäische Sicherheit war zum Beispiel das Jahr 2008, als die NATO
die Ukraine und Georgien zum Beitritt einlud, ein Wendepunkt. Russland sah dadurch
seine Sicherheit bedroht, während die NATO auf das Recht jedes Staates pochte, seine
Sicherheitsvereinbarungen selbst zu bestimmen und durch den Beitritt beider Staaten
keine Gefährdung der russischen Sicherheit sah. Spätestens von da an nahm die
Entfremdung zwischen Russland und der NATO ihren unaufhaltbaren Lauf. Die
divergierenden Interessen zwischen den USA und Russland lähmten den UN-
Sicherheitsrat und verhinderten die Fortführung der kooperativen Sicherheitspolitik in der
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE). Europa konnte nur machtlos
zusehen wie sich die von Merkel und Hollande verhandelten Minsker Abkommen in
wertloses Papier verwandelten. Schließlich brachte der Krieg in der Ukraine den Kalten
Krieg zurück und beschleunigte das Wettrüsten. Die kollektive Sicherheit der Vereinten
Nationen und die kooperative Sicherheit der OSZE wurden ihrer Aufgabe als
Friedensstifter beraubt.
Die Vereinten Nationen wurden mit dem Ziel gegründet künftige Generationen vor der
Geissel des Krieges zu bewahren. Alle Staaten der Welt sind heute Mitglieder der
Vereinten Nationen und haben sich diesem Ziel verschrieben. Die Vereinten Nationen
können aber nur funktionieren, wenn die Vetomächte des Sicherheitsrates willens sind
ihre Interessen auszugleichen und der Erhaltung des Weltfriedens unterzuordnen.
Auch das Funktionieren der OSZE hängt vom Willen der beteiligten Mächte ab, die in der
Europäischen Sicherheitscharta von 1999 festgeschriebenen Grundsätze ernst zu
nehmen. Die Charta geht von der Unteilbarkeit der Sicherheit in Europa aus. Das
bedeutet, dass kein europäischer Staat seine Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer
Staaten festigen soll.
In beiden Organisationen ist demnach der Ausgleich der Sicherheitsinteressen aller
beteiligten Staaten der Schlüssel für eine friedliche Welt. Nach welchen Regel dieser
Ausgleich erfolgen soll ist in beiden Organisationen ausreichend beschrieben. Eine
„regelbasierte Weltordnung“ die darüber hinaus geht oder diese Regeln umgeht, führt
unweigerlich zu Mißtrauen und Konflikten. Wieviele Opfer müssen gebracht werden um
die beiden Organisationen wieder zu beleben? Wie lange wird es dauern bis sich die
Erkenntnis durchsetzt, dass Sicherheit und Frieden nur gemeinsam erreicht werden kann?
Welche wahrscheinlichen Bedrohungen ergeben sich für Europa?
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik hat eine Studie vorgelegt, wonach
Europa nur mehr kurze Zeitfenster verbleiben um so aufzurüsten, dass einem Angriff
Russlands erfolgreich begegnet werden kann. Ein Sieg Russlands in der Ukraine würde
Russland in die Lage versetzen weiter nach Westen vorzustossen. Daher dürfe die
Ukraine den Krieg nicht verlieren. Dazu brauche sie die bedingungslose Unterstützung
des Westens. Die verbleibende Zeit müsse genutzt werden um die EU kriegstauglich zu
machen.
Das Risikobild 2024 des Bundesheeres geht davon aus, dass sich die Weltordnung in
einem Prozess der Umstrukturierung befinde. Der Krieg als Mittel der Politik sei zurück.
Das Kriegsbild habe sich jedoch verändert. Statt eines konventionellen Krieges sei eher
mit einer hybriden Kriegführung zu rechnen. Darunter versteht man die Destabilisierung
der Gesellschaft, die Verbreitung von Falschnachrichten, die Manipulation der öffentlichen
Meinung, die Erpressung auf Grund einseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit, sowie
Sabotage und Terroranschläge. Die hybride Kriegführung werde oft verdeckt
durchgeführt, sodass der Gegner nicht einfach zu erkennen sei.
Dazu ist zu sagen: Hybride Kriegführung erfordert größtenteils zivile Gegenmaßnahmen.
Die Stärkung der zivilen Widerstandsfähigkeit wird so zur Kernaufgabe der EU. Das
neutrale Österreich kann an dieser Kernaufgabe ohne Vorbehalte mitwirken.
Die Kriegsrhetorik ist daher fehl am Platz und schürt nur die Ängste der Bevölkerung.
Besser wäre es den Gründungsgedanken der EU wieder als Leitlinie der Politik ins Auge
zu fassen, nämlich das über Jahrhunderte in Schlachten und Kriegen geschundene
Europa in einen Kontinent des Friedens zu verwandeln..
Welche Folgerungen können wir für unsere Neutralität ziehen?
Das Risikobild 2024 lässt auch eine andere Schlussfolgerung zu. Die Gefahr zum Ziel
hybrider Angriffe zu werden steigt, wenn Österreich von anderen Staaten als unfreundlich
oder als Unterstützer einer Kriegspartei wahrgenommen wird. Die Initiative Engagierte
Neutralität hat in ihrem Appell an die Bundesregierung und an das Parlament bereits
darauf hingewiesen, dass eine engagierte Neutralitätspolitik das Risiko in einen Krieg
hineingezogen zu werden erheblich vermindert. Neutrale Staaten erfüllen eine wichtige
Funktion als Orte der Begegnung. Österreich und die Schweiz sind nicht zufällig Amtssitz
der Vereinten Nationen. Österreich ist auch Sitzstaat der OSZE und an die 50
internationale Organisationen sind in Wien ansässig.
Die Neutralität ist nicht, wie manche behaupten, aus der Zeit gefallen sondern für
Österreichs Sicherheit wichtiger denn je. Sie ist kein Freibrief für das Nichtstun. Im
Gegenteil, sie muss ihre Glaubwürdigkeit im Frieden und im Krieg unter Beweis stellen. Es
ist die Aufgabe der Neutralitätspolitik ihren Kernbestand jederzeit mutig zu vertreten,
sowie ihre positiven Eigenschaften politisch klug für den internationalen Frieden und die
eigene Sicherheit zu nutzen. Die Neutralität entspricht in jeder Beziehung den Idealen der
Vereinten Nationen und sie ist somit die höchste Stufe der Zivilisation. Es wäre unklug
diese Errungenschaft aufzugeben.
Die Sicherheit Österreichs ruht auf den drei Säulen: Demokratie, Diplomatie und
Defension. Diese drei D unterstützen sich gegenseitig und sind gleichermaßen wichtig.
Eine stabile Demokratie bewahrt unsere Grund-und Freiheitsrechte, eine engagierte
Diplomatie ist auf eine aktive Friedenspolitik ausgerichtet und eine glaubwürdige
Verteidigung stärkt unsere Widerstandskraft durch die Wiederbelebung der Umfassenden
Landesverteidigung in allen ihren Dimensionen – geistig, zivil, wirtschaftlich und
militärisch.
Es ist nicht ersichtlich welchen Sicherheitsgewinn ein Beitritt zur NATO bringen soll. Der
Beitritt Finnlands und Schwedens ist für Österreich kein Maßstab. Österreich ist im
Gegensatz zu diesen beiden Ländern rechtlich immerwährend neutral und in einer
geopolitisch anderen Lage. Würde Österreich der NATO beitreten wäre es sofort ein
legitimes Ziel der hybriden Kriegführung. Im Falle eines Kriegs sind Angriffe mit Drohnen
und Raketen zu erwarten. Ein Beitritt zur NATO würde die geopolitisch günstige Lage
Österreichs gravierend verschlechtern.
Finnland wurde zum Beispiel vom neutralen Pufferstaat zum Frontstaat. Es hat alle
Grenzübergänge zu Russland geschlossen, errichtet einen 4m hohen und 250 km langen
Grenzzaun und stellt seine militärische Infrastruktur in einem Defence Cooperation
Agreement (DCA) den USA zur Verfügung. Auch Schweden hat ein DCA abgeschlossen,
das die Nutzung der militärischen Infrastruktur Schwedens durch die USA erlaubt. Als
Schweden im ersten Kalten Krieg neutral war hat es stolz verkündet: nur Schweden
verteidigen Schweden. Ist Russland soviel gefährlicher als es die kommunistische
Sowjetunion war? Käme Österreich bei einem NATO Beitritt nicht auch unter Druck ein
DCA mit den USA abzuschließen?
Die Neutralität in der EU ist kein Hindernis
Als Österreich dem Friedensprojekt EU (damals noch Europäische Gemeinschaften)
beigetreten ist hat Außenminister MOCK folgende Erklärung abgegeben:
Die Neutralität Österreichs ist sein spezifischer Beitrag zur Aufrechterhaltung von Frieden
und Sicherheit in Europa – ein Beitrag, der seine Entsprechung in der Präambel des EWG-
Vertrages findet und die lautet: „Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen!.
Neutralität ist für das Friedensprojekt EU, für die Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik (GASP) kein Hindernis. Der Artikel 3 des EU-Vertrags lautet: „Das Ziel
der Union ist es den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern“.
Das neutrale Österreich kann alle Maßnahmen, die dem Ziel der EU dienen solidarisch
mittragen. Lediglich die Anwendung oder Androhung von Gewalt oder die Verhängung
von Sanktionen zur Durchsetzung machtpolitischer Interessen bedürfen aus
neutralitätsrechtlichen Gründen eines Mandats des UN-Sicherheitsrates. Der EU-Vertrag
verweist mehrmals auf die Achtung der Grundsätze der Vereinten Nationen, wodurch sich
für Österreich diesbezüglich keine Hindernisse ergeben sollten.
Anstatt in den Chor der Kriegsrhetoriker einzustimmen sollte Österreich seine Stimme
inner- und außerhalb der EU für Frieden erheben und das Mock’sche Versprechen in die
Tat umsetzen.
Die Tatsache, dass die UN auf Grund des Zerwürfnisses der Vetomächte zur Zeit nicht
ausreichend funktioniert ist kein Grund ihr Grundsätze, Regeln und Ideale über Bord zu
werfen. Es gibt keine besseren. Die Welt, die aus den Fugen geraten ist, muss den Weg
zurück zu einer Weltordnung finden in der die friedliche Lösung von Konflikten die
Richtschur ist. Die EU kann dabei eine wichtige Rolle spielen, wenn sie zu ihrem
Gründungsgedanken zurück kehrt, nämlich eine eigenständige selbstbestimmte Friedens-
und Handelsmacht zu sein. Die Wiederbelebung der OSZE, dieser innovativen
Organisation der kooperativen Sicherheit, ist ebenfalls unverzichtbar. Das neutrale
Österreich könnte als Gastgeberland dabei eine wichtige Rolle spielen. Die
allgegenwärtige Kriegsrhetorik hat die Fronten bereits so verhärtet, dass der
verlorengegangene Frieden erst wieder möglich sein wird, wenn die Völker erkennen,
welchen Scherbenhaufen Kriege hinterlassen. Die Weisheit des ersten Präsidenten der
USA, George Washington, sollte uns allen Mahnung sein: „Mein letzter Wunsch ist, den
Krieg, dieses Brandmal am Körper der Menschheit, von der Erde verschwinden zu sehen“
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